Andrea Schoberth
Atelier Berlin
Hommage an Maria Callas
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Hommage an Maria Callas
   

 

 

 

 

 
 

"Könnte es sein, dass es die unvollkommene Schönheit ist, welche sich als die vollkommene erweist? Eine Schönheit, welche kein Anschlag auf die Sinne ist, sondern langsam in uns einsickert und uns dann lange und ständig begleitet und unser Herz mit Schmerzen füllt - den Schmerzen der Erinnerung.

Zunächst war es die Stimme Renata Tebaldis gewesen, die mich, in den Jahren der éducation sentimentale durch die Oper, zu den Engeln schickte. Die Stimme der Callas, für die sich ein als versponnen und morbide-außenseiterisch eingeschätzter Schulfreund begeisterte, erschien mir als unstet, schrill, als hässlich gar, auf jeden Fall als artifiziell.

Doch dann kam der Abend, an dem ich bei einem Fernempfangbummel durch die Mittelwellensender Europas in die Übertragung einer ihrer Aufführungen geriet. Sie sang in Berlin die Lucia di Lammermoor, und zum erstenmal empfand ich eine Stimme zugleich als körperliche Berührung und als eine Idee: als etwas Unverlierbares. Spürte, wie sich die Farbe der Schönheit über die Finsternis des Schmerzes legte - wie Shelley es ausgedrückt hat; und fortan ließ mich diese Stimme nicht mehr los.

Aber es dauerte Jahre, bis ich merkte, dass es nicht nur die Stimme oder viel mehr als die Stimme war, nämlich die Fähigkeit der Sängerin, das Leben und die Intensität der Emotionen auszudrücken; dass wichtiger als die Bewunderung dafür, wie sie sang, die Einsicht wurde, warum sie sang: aus Passion."


Jürgen Kesting
in "Maria Callas", List-Verlag 2006.